TOTENTANZ - mittelalterliches Schauspiel über die Allgegenwart des Todes

16.11.2019 - 19:00 bis 21:00
Christuskirche

Samstag, 16. November 2019
19:00 Uhr
Evangelische Christuskirche Neuhausen

Dietrich-Bonhoeffer-Straße 7
73765 Neuhausen auf den Fildern

Der Eintritt ist frei.

Einmal im Jahr ruft der Tod zum Tanz

Eine Kirche im November. Ein Mann im blauen Umhang stürmt durch das Kircheninnere und verkündet mit lauter Stimme: „ein ernsthafft spielen hebt sich an, von unserm großen HERREN GOTT und seinem grimmen boten tod…“ Der Spruchsprecher nimmt vorweg, was bei den Zuschauern bald unter die Haut geht: die Begegnung mit dem Tod. Nach dem Monolog nimmt die Weise vom Schnitter Tod, vorge-tragen von Streichern, musikalisch das Thema auf. Und dann kommt Gott selbst, nur hörbar, und ruft den Tod zu sich, dem er einen Ge-richtstag ankündigt und ihn auffordert:
"Drum sollst mir schnell die welt abeilen
Und gleich abtöten unverweylen
All, deren lebenszeit am end".
Bald schon sitzt der Tod abseits, schwarz gewandet, totenschädelweiß das Gesicht, und wartet auf sein erstes Opfer, einen betrunkenen Vogt („gut fressen und saufen ist mein freud“), der prahlt:
"Ich brauch kein pfaffen, kein eh´gwalt,
halt hochzeit oft und wanns mir g´fallt,
pfeif uf die kirch, ich hans nit not –
bis der Tod auf sein „und morgen...“ einfällt
„… bist du tot.“"

Kein Theaterspiel im herkömmlichen Sinn findet da statt. Eher schon ein Mysterienspiel, bei dem die typischen Vertreter der mittelalterli-chen Ordnung vorgeführt werden: erst den Zuschauern, dann dem Tod und endlich dem Weltenrichter. Nach dem betrügerischen Vogt treten auf: ein sterbensmüder Bettler, eine bigotte Krämerin, ein waf-fengläubiger Landsknecht, eine verzweifelte Mutter mit ihrem sterben-den Kind, eine lebenslustige Buhlerin (junges verführerisches Mäd-chen) und der mächtige Kaiser. Jedes Mal spielt sich dasselbe Ritual ab: Zuerst erscheint der ahnungslose Protagonist, dann taucht un-vermutet der Tod auf, der zuerst nicht erkannt, dann angefleht, ver-höhnt, bestochen, beschimpft, bedroht wird, bis er sie am Ende doch alle mitnimmt. Der Tod meldet Gott nach zehn „Geschehnissen“ Vollzug und ruft nun die Toten „zu der letzten reis“, nun „anfaht der grimme todesreihn, ich herre tod tu tanzführer sein!“. Dann treten sie alle vor und mit seltsam gebrochenen Schritten beginnt das, was allem seinen Namen gibt: der Totentanz.

Wer kennt sie nicht, die bildhaften Darstellungen der Totentänze aus Kirchen wie Lübeck, Basel, Berlin und anderen europäischen Städten, die Holzschnitte von Hans Holbein, aber auch moderner Künstler wie Alfred Hrdlicka und HAP Grieshaber. Vergessen wird dabei, dass es bis heute rätselhaft ist, warum es überhaupt zu diesem makabren Spiel Mitte bis Ende des 15. Jahrhunderts gekommen ist. Die Pest, wie oft vermutet, war da schon Geschichte, mehrere Generationen her. Oder vielleicht gerade deshalb, weil nach hundert Jahren die grauenvolle Erinnerung verblasste und man auf makaber-lustige Wei-se dem Tod eine neue Seite abgewann? Oder haben diejenigen Recht, die dem Totentanz eine sozialkritische Seite abgewinnen wol-len, dass vor dem Tod alle Stände klein beigeben müssen? Warum dann aber mit dem Tod tanzen und nicht schreiten? Oder ist es am Ende dasselbe?

Genauso wie die Genese des Totentanzes im Dunklen liegt, bleiben auch die Anfänge des Totentanzspiels im Stuttgarter Spielkreis ver-borgen. Irgendwann Ende der 1940er Jahre hatte Kurt Wager, der Gründer des Sing-, Tanz- und eben Spielkreises, mit der Einstudierung und Aufführung des Totentanzes begonnen. Als Vorlage diente ein Text des Münchener Theaterleiters Alois Johannes Lippl.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts gab es neben traditionellen Toten-anzstücken die Neuinterpretation des Themas im Jedermann von Hugo von Hofmannsthal. Davon setzte sich Lippl 1922 bewusst ab, als er mit 19 (!) Jahren sich sprachlich in die Welt der frühen Neuzeit versetzte und mit dem Knittelvers und einem altertümlichen Deutsch eine sprachliche Distanz zur Gegenwart schuf. Dazu kommt die ein-dringliche Musik, die Hubert Haas unter Verwendung alter Weisen schuf.
Alle drei Elemente, Musik, Sprache und Schauspiel erzeugen die un-erhörte Spannung, die über dem knapp 90minütigen Geschehen liegt und das die Zuschauer in den Bann zieht. Wenn am Ende als Höhe-punkt die vom Tod heimgeholten Darsteller tanzend-schreitend aus der Kirche verschwinden, bleibt die Stille zurück, die immer dann herrscht, wenn man eines Toten gedenkt. Kein Vorhang senkt sich, kein Applaus verabschiedet das Geschehnis. Schweigend begleiten einen die eindringlichen Bilder zurück in den Alltag.

Info:
Der Stuttgarter Spielkreis e. V.
Seit 1947 beschäftigen wir und mit Volkstanz, Volkslied, musizieren, Laienspiel, Fahnenschwingen, werken und Handarbeiten. Das Zusammenwirken von Angehörigen aller Altersgruppen und unterschied-lichen Fertigkeiten im Hinblick auf gemeinsame Ziele ist uns wichtig.
Näheres unter: http://www.ssk.volkstanz.com

Weitere Infos zum Thema: "Der Totentanz predigt das Leben"